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Iniziativa Culturale:

 

 

Von Sumgait bis Baku: Versuch einer menschenrechtlichen Beurteilung Sehr geehrte Damen und Herren,
Tessa Hofmann:
liebe Freunde,
die Nachricht von Massakern an der armenischen Minderheit in der Aserbaidschanischen Industriestadt Sumgait erschütterte Ende Februar 1988, vor 22 Jahren, das internationale Vertrauen in die Reformierbarkeit der UdSSR.
Interethnische Gewalt im Südkaukasus hatte im 20. Jahrhundert sämtliche Krisen erst des russischen, danach des Sowjetimperiums begleitet: die russische Sozialrevolution von 1904/05 ebenso wie den Zerfall des Russischen Jahres 1918 bis 1920 und der Sowjetunion 1988 bis 1990. In jeder dieser Perioden des schwachen oder versagenden Staates wurde die armenische Bevölkerung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Nachitschewan sowie in Unter-Karabach noch in geschlossener Gemeinschaft siedelte, ermordet und schließlich bis auf einige wenige Hunderte vertrieben. Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf die dritte und letzte Etappe dieses Prozesses der Entarmenisierung Aserbaidschans. An ihrem Beginn stand die vom Stadtrat organisierte Massengewalt in der Industriestadt Sumgait vom 27. bis 29. Februar 1988. Etwa ein Zehntel der damals bis zu 260.000 Menschen zählenden Bevöl-kerung war armenisch. In ganz Aserbaidschan einschließlich des Autonomen Gebiets Berg-Karabach lebten nach dem offiziellen Zensus 475.0001 Armenier.
Mir liegt die Anklageschrift des Staatsanwalts der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik, I.A. Ismailow (ein Aserbaidschaner), vom September 1988 vor. Nach seinen Ermittlungen kamen bei den Sumgaiter „Ausschreitungen“ 32 Menschen ums Leben, 400 weitere wurden verletzt und 200 Wohnungen demoliert. Während also nach offiziellen Angaben in Sumgait „nur“ 32 Menschen (davon 26 Armenier und sechs Aserbaidschaner) getötet wurden, erwähnte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS 400; Organisationen in Armenien und Rußland gin-gen von 400 bis 500 Toten aus, unter Berufung auf die damals in Sumgait ausgestellten To-tenscheine. Anfang Mai 1988 war in Jerewan eine Namensliste von 52 toten Armeniern aus Sumgait erstellt worden.
Ungeklärt bleibt die Zahl der Opfer unter den sowjetischen Militärangehörigen, denn am drit-ten Pogromtag wurde zur Evakuierung der Sumgaiter Armenier Militär eingesetzt, allerdings ohne Waffen! Angaben der Militärstaatsanwalt zufolge sollen insgesamt 276 Militärangehöri-ge bei diesem Einsatz „Schaden erlitten“ haben. Allerdings ging die Militärstaatsanwaltschaft nicht Augenzeugenberichten über getötete bzw. später ihren Verletzungen erlegene Offiziere und Soldaten nach2.
Ebenso wenig wie die wirkliche Zahl der Opfer je geklärt wurde, wurden die politisch Verant-wortlichen in Sumgait und höheren Orts je zur Rechenschaft gezogen, weder in der Sowjet-zeit noch im unabhängigen Aserbaidschan. Nicht einmal jene stadtbekannten Größen, die in Brandreden öffentlich zum Massaker aufgerufen hatten, mussten sich gerichtlich verantwor-ten, obwohl die Hetze zu interethnischem Hass sowohl unter dem sowjetischen, als auch dem Strafrecht der postsowjetischen Republiken einen Straftatbestand darstellt.
1 Einschließlich des Autonomen Gebiets Berg-Karabach. Spätere Erhebungen geben wegen der 1988 einsetzenden Massenflucht der Armenier aus Aserbaidschan kein reales Bild wieder.
2 Babanov, Igor’; Voevodskij, Konstantin: Karabachskij Krizis. Sankt-Peterburg, 1992. S. 10, Fußnote 13
Nur gegen etwa einhundert zudem meist noch unter das Jugendstrafrecht fallende Täter wurden Verfahren eingeleitet. Am 2. März 1993 schlug das Büro des Aserbaidschanischen Generalstaatsanwalts dem damaligen protürkischen Präsidenten Eltschibej eine Generalam-nestie für die Sumgaiter Pogromtäter vor. Schon die sowjetische Pressepolitik verhängte eine Art Informationsblockade über das Sumgaiter Massaker. Statt einer ernsthaften juristi-schen oder publizistischen Aufarbeitung kam es zu unverantwortlichen Mutmaßungen und Unterstellungen. Das Mitglied der Aserbaidschanischen Akademie, Professor Z. Buniatow, hat vermutlich 1989 als erster die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt, dass Armenier die Massaker selbst provoziert bzw. organisiert hätten.
Eine andere Schuldzuweisung beruft sich auf angebliche Verfolgungen von Aserbaidscha-nern in der armenischen Stadt Rapan (nahe der Grenze zwischen Armenien und Iran). Aller-dings konnten die Militärangehörigen, die Mitte Februar 1988 nach Rafan entsandt wurden, dort keinerlei Anzeichen für ethnische Spannungen feststellen. Aserbaidschanische Flücht-linge aus Rapan hätten dann in Sumgait Rache geübt. Merkwürdigerweise waren diese orts-fremden „Flüchtlinge“ nach Ende der Pogrome nirgends mehr anzutreffen.
Die Verbrechen von Sumgait zeichneten sich durch besonderen Sadismus aus. Opfer wur-den öffentlich gedemütigt und gefoltert, bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen, mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt. Die sadistischsten Verbrechen wurden an Frauen be-gangen. Frauen und minderjährige Mädchen wurden teilweise vor den Augen ihrer Angehö-rigen vergewaltigt, bevor man sie umbrachte. Einem der Opfer wurde eine Metallstange in die Scheide gestoßen.
Im November 1988: kommt es in sämtlichen von Armeniern bewohnten Städten und Sied-lungen Aserbaidschans, vor allem jedoch in Kirowabad (heute Gjandsche), Nachitschewan, Chanlar (ursprünglich die deutsche Kolonie Helenendorf), Schamchor, Scheki, Kasach und Mingetschaur zeitgleich zu Übergriffen auf Armenier, zu Tötungen, Gewalt und Plünde-rungen, ohne dass die Miliz einschreitet. Mehrere Tausende, meist jugendliche Aserbai-dschaner brechen zu „Demonstrationszwecken“ nach Askeran auf, einem Bezirkszentrum in Arzach, wo etwa 500 Armenier verletzt werden. In den sowjetischen Medien sowie den Ver-lautbarungen des Stellvertretenden Generalstaatsanwalts der UdSSR, Katusjew, werden aber nur zwei Aserbaidschaner erwähnt, die bei diesem Zug umkommen: einer unter unge-klärten Umstanden, der andere wurde von einem Aserbaidschanischen Milizionär erschos-sen. Das heizt die ohnehin armenierfeindliche Stimmung enorm an.
Trotz nächtlicher Ausgangssperren und anderer „Sondermaßnahmen“ versuchen Aserbai-dschanerbanden immer wieder, das Bakuer Armenierviertel Armenikend zu stürmen.
In Kirowabad entlud sich die armenierfeindliche Stimmung in einem weiteren Pogrom gegen die dortige armenische Minderheit von 40.000. Ab dem 22. November 1988 wurden dort siebzig Versuche registriert, ein Armeniermassaker zu organisieren. Über sechzig armeni-sche Häuser wurden in Brand gesetzt. Auch in der nahe gelegenen Kreisstadt Chanlar leg-ten Aserbaidschaner an mehrere Armenierwohnungen Feuer. Ein größeres Blutbad in Kiro-wabad wurde nur durch den Umstand verhindert, daß im Unterschied zu Sumgait die Arme-nier Kirowabads traditionell in eigenen Ghettos leben, wo Hunderte von Frauen und Kindern aus anderen Stadtteilen Zuflucht suchten, und zwar in und um die armenische Kirche, die von einigen sowjetischen Soldaten mutig geschützt wurde. Als am 23. November 1988 in Kirowabad drei Soldaten von Aserbaidschanern mit einer Handgranate angegriffen werden, wurde das Kriegsrecht über Kirowabad, Baku und Nachitschewan verhängt.
Trotzdem kam es auch in Kirowabad zu sadistischen Exzessen: Armenische Insassen eines Altersheims wurden vergewaltigt. Am 24. November 1988 mußte auch in Kirowabad, dessen Gründung auf Armenier zurückgeht und dessen Geschichte stets mit ihnen verbunden war, die armenische Bevölkerung evakuiert werden. Ebenso mußten über 500 armenische Frau-en und Kinder mit Armeehubschraubern und -lastwagen aus Nachitschewan evakuiert wer-

den, wo nach den Pogromen und Vertreibungen der Jahre 1919-1921 ohnehin nur noch et-wa 2000 Armenier lebten.
Im November 1988 setzte die Massenflucht der Armenier aus Aserbaidschan ein, denn in beinahe allen Bezirken Aserbaidschans herrschte Pogromstimmung. Dazu kam eine allge-genwärtige Willkür im Alltag und Arbeitsleben: Fristlose Entlassungen, willkürliche Festnah-men, die stets von Misshandlungen begleitet wurden, Belästigungen auf offener Straße. Bin-nen zweier Wochen flüchten an die 200.000 Armenier aus Aserbaidschan. Im Januar 1989 waren nur noch im Autonomen Gebiet Berg-Karabach und den nördlich angrenzenden Be-zirken (insgesamt etwa 170.000 Armenier) sowie in Baku Armenier geblieben.
Pogrom von Baku, 13. bis 19. Januar 1990: Im Sommer 1989 hatte sich in Aserbaidschan die Volksfront Aserbaidschans gegründet, die ihren Zulauf vor allem der Kritik an der Regie-rung SowjetAserbaidschans verdankte, der sie zu große Nachgiebigkeit in der Karabachfra-ge vorwarf. Die Führung der Volksfront rief die Bevölkerung zu Taten auf, darunter zu Em-bargomaßnahmen sowie zur Blockade Armeniens.
Anfang Januar 1990 befand sich die Landeshauptstadt Baku faktisch in der Gewalt der Volksfront. Dort erfolgten bereits seit Monaten Übergriffe auf die armenische Bevölkerung.
Bereits am 10. Januar 1990 richtete das Parlament der Republik Armenien eine besorgte Anfrage an den Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR, Michail Gorbatschow: „Es leiden unschuldige Frauen, Kinder und Alte. Es kommt zu Totschlag, Brandstiftung, Geisel-nahme und zur Absperrung von Straßen und Brücken.“
Ab 13. Januar nahmen die Pogrome in Baku organisierte Gestalt an, die Stadt wurde metho-disch, Haus für Haus, von Armeniern „gesäubert“. Wie zwei Jahre zuvor in Sumgait, kam es dabei zu Vergewaltigungen auch Minderjähriger und alter Frauen, zu Folterungen. Die Zu-fahrtswege nach Baku waren gesperrt. Wer überlebte, wurde zum Hafen geschickt, von wo die Armenier per Schiff evakuiert wurden, zunächst nach Turkmenien. Hunderte von Flücht-lingen aus Baku bestätigten in ihren Berichten, dass die von der Volksfront organisierten und gelenkten Pogrome nach einem gleich bleibenden Schema abliefen: Zehn bis 20 Pogromtä-ter drangen in eine Wohnung ein und begannen, die Mieter zu terrorisieren, zu schlagen und zu quälen. Dann zeigten sich Vertreter der Volksfront und schlugen den eingeschüchterten Armeniern vor, sich unverzüglich zum Hafen zu begeben. Ihnen wurde erlaubt, Handgepäck mitzunehmen, doch dann wurde ihnen alles Bargeld, Sparbücher und Wertsachen abge-nommen. Im Hafen befand sich ein Wachposten der Volksfront. Die Flüchtlinge wurden hier erneut durchsucht, bisweilen erneut geschlagen. Da es sich bei den zu diesem Zeitpunkt noch in Baku verbliebenen Armeniern in der Mehrheit um ältere Menschen handelte, starben viele von ihnen kurze Zeit darauf infolge der erlittenen Traumata.
Die Anzahl der bei dem Bakuer Pogrom Getöteten ist unbekannt. Wiederum kam zu keinen gerichtlichen Untersuchungen. Es gibt zahlreiche Zeugnisse für Totschlag, der mit besonde-rer Grausamkeit einherging (zum Beispiel wurden Opfer lebendig verbrannt). Aserbaidscha-ner bzw. Angehörige anderer Nationalitäten, die Armeniern zu helfen versuchten, setzten sich selbst der Gefahr aus. Die armenische Kirche Bakus wurde in Brand gesetzt, ohne dass die Miliz einschritt.
Nachdem die großen urbanen armenischen Minderheiten in Aserbaidschan vertrieben wor-den waren, richtete sich die organisierte Massengewalt nun auf die Armenier des Autono-men Gebiet Berg-Karabach sowie der beiden nördlich angrenzenden Bezirke Chanlar und Schahumjan. Während sich die von der Volksfront organisierten Pogrombanden in Baku ta-gelang austoben konnten, ohne dass die Armee einschritt, wurde über Karabach das Kriegs-recht verhängt. Ungehindert und ungestraft fielen Angehörige des Aserbaidschanischen

3 Der Aserbaidschanische OMON besaß bereits Anfang 1991 über 4000 Angehörige.
4 United Nations, Human Rights Committee: Consideration of reports submitted by states parties un-der Article 40 of the Covenant: Initiatial reports of states parties due in 1997; addendum; Armenia. § 29. Internet-Fundstelle: wysiwyg://1152/hhtp://www2.hri...ion/bodies/ccpr-c-92-add2.html, S. 5
5 Poljanitschko war Zweiter Sekretär der KP Aserbaidschans.
OMON3 über die wehrlose armenische Bevölkerung her, trieben Vieh fort, brannten Scheu-nen nieder und sprengten die Leitung, die Stepanakert (mit damals 50000 Einwohnern) mit Trinkwasser versorgte. Wer in Karabach gegen diese Willkür protestierte, wurde zunächst in sogenannten „Filter“ (eine Einrichtung, die später im Tschetschenienkrieg zu trauriger Be-rühmtheit gelangte) halbtot geprügelt und anschließend in das berüchtigte Gefängnis von Schuschi gesteckt, das die Insassen nur gegen gewaltige Bestechungsgelder überlebten.
Am 16. Januar 1990 beschloss die Führung Aserbaidschans die reguläre Beschießung der armenischen Dörfer in Schahumjan und Chanlar von Bodentruppen sowie von Hubschrau-bern aus. Das Dörfchen Manaschid (Bezirk Schahumjan) wurde ganz besonders brutal zu-sammenkartätscht.
Im Jahr darauf, von April bis Ende Juli 1991, folgte die so genannte „Operation Ring“. Dabei handelte es sich um die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung armenischer Dörfer des Auto-nomen Gebiets Berg-Karabach und der angrenzenden.
Die „Operation Ring“ erfolgte als „search and destroy“-Aktionen unter dem Vorwand von Ausweiskontrollen sowie Waffenbeschlagnahmung. Sie entvölkerte 24 armenische Dörfer des Autonomen Gebiets Berg-Karabach, der Bezirke Schahumjan und Chanlar. Nach arme-nischen Angaben wurden zwischen fünf- bis zehntausend, nach Aserbaidschanischen sogar 32.000 Menschen zwangsumgesiedelt (ein Aserbaidschanischer Sprecher auf einer Presse-konferenz in Moskau am 22. Mai 1991). Bei der mit schierem Terror durchgeführten Aktion starben bis zu 170 Armenier. Die Vertreibungen und Deportationen erreichten laut Bericht einer späteren KSZE-Mission vom 28. Februar 1992 ihren Höhepunkt in den Monaten April und Mai 1991. Wie es in der Erörterung des Menschenrechtskomitees der Vereinten Natio-nen heißt, beendete einzig der Selbstauflösungprozeß der UdSSR die Zwangsaussiedlung aller Armenier Karabachs4.
Die „Operation Ring“ verlieh dem Karabach-Konflikt erstmals militärisches Ausmaß. Doch weder die militärische Operation selbst, noch die in ihrem Verlauf begangenen zahlreichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung fanden je ihre angemessene politische oder juristische Aufarbeitung.
Das Autonome Gebiet Berg-Karabach befand sich im März 1991 bereits im Ausnahmezu-stand. Es stand seit Ende 1989 unter dem Militärregime eines sogenannten „Organisations-komitees“ mit den berüchtigten Viktor L. Poljanitschko5 und General Safonow an der Spitze. Ausführende Organe waren die dem Innenministerium der Aserbaidschanischen Sowjetre-publik unterstellte 23. Division der Sowjetarmee unter Oberst Budejkin sowie die neugebilde-ten Sondereinheiten des ebenfalls dem Innenministerium unterstehenden OMON. Einer der Aserbaidschanischen Hauptverantwortlichen war der damalige Innenminister (Sowjet-) Aser-baidschans, Mamed Assadow.
Wie sind nun die geschilderten Ereignisse aus menschenrechtlicher Sicht zu bewerten? Nach dem Römer Statut von 1998 fallen gemäß Artikel 7, Absatz 1 Massenmord, Folter, Vergewaltigung, Zwangsumsiedlung und Deportation unter die Verbrechen gegen die Menschheit bzw. Menschlichkeit, ebenso wie Verfolgung ganzer Gruppen einzig auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit. Die organisierte antiarmenische Massengewalt in Aserbaidschan wurde jedoch auch als Genozid bezeichnet. Ohne einer inflationären Verwendung dieses Begriffs das Wort reden zu wollen, möchte ich in diesem Zusammenhang an eine Definition

von Raphael Lemkin erinnern, den Hauptautor der Genozid-Konvention der Vereinten Natio-nen. Im 9. Kapitel seines 1944 veröffentlichten Buches „Axis Rule in Occupied Europe“ führte Lemkin aus, dass Genozid nicht notwendigerweise die sofortige Vernichtung einer Nation bedeutet, es sei denn, Genozid werde von Massentötungen sämtlicher Mitglieder dieser Na-tion begleitet. Vielmehr bezeichne Genozid einen „koordinierten Plan verschiedener Hand-lungen, die auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen nationaler Gruppen abzielen, mit dem Ziel, die Gruppen als solche zu vernichten. Die Zielsetzung eines derartigen Plans wäre die Desintegration der politischen und sozialen Institute, der Kultur, Sprache, Nationalgefühle, Religion sowie der wirtschaftlichen Existenz nationaler Gruppen, und die Zerstörung der per-sönlichen Sicherheit, der Freiheit, Gesundheit, Würde und sogar des Lebens der Individuen, die zu solchen Gruppen gehören. Genozid richtet sich gegen die nationale Gruppe als Ein-heit, und die entsprechenden Handlungen sind gegen Individuen nicht in deren individueller Eigenschaft gerichtet, sondern als Angehörige der nationalen Gruppe.“
Falls wir diese Definition auf die Situation in Aserbaidschan anwenden, so müssen wir fest-stellen, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch wiederholte und intentionale Akte der Massenverfolgung und Massentötung genau die von Lemkin beschriebene Wirkung erzielt wurde: eine bis dahin deutlich definierte Ethnizität – in diesem Fall die Armenier – wurde auf dem Staatsgebiet Aserbaidschans vernichtet. Die wenigen Armenier, die noch im Land leben bzw. die Menschen, die teilweise von Armeniern abstammen, verbergen ihre Identität aus Furcht vor weiterer Diskriminierung und Verfolgung.
Zur Autorin:
Tessa Hofmann ist der Geburts- und Autorenname der deutschen Soziologin und Autorin Tessa Savvidis. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Nach dem Abitur 1969 in Hannover studierte sie bis 1974 Slawistik, Armenistik und Soziologie. 1974/75 war sie postgraduierte For-schungsstipendiatin an den Staatsuniversitäten Sankt Petersburg (Russland), Jerewan (Armenien) und Tbilissi (Georgien). 1982 promovierte sie und ist seit 1983 wissenschaftliche Angestellte am Osteuropa-Institut der FU Berlin. Als Sachbuchautorin und Herausgeberin hat Hofmann zahlreiche, in acht Staaten erschienene Publikationen zur Geschichte, Kultur und Gegenwartslage Armeniens und der armenischen Diaspora, zur Genozidforschung, zu Minderheiten in der Türkei und im Südkaukasus veröffentlicht. Seit 1979 arbeitet sie in der ehrenamtlichen Menschenrechtsarbeit als Armenien-Koordinatorin der Gesellschaft für be-drohte Völker und als Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung g.e.V. (AGA). Am Lehrstuhl für Soziologie des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin ist sie Mitarbeiterin bei der Konzipierung, Beantragung und Imple-mentierung von Forschungsvorhaben mit den Schwerpunkten Migrations- und Minderheiten-forschung im Bereich Ost- und Südosteuropas sowie des Südkaukasus.

V.V

 
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